Serie – Teil 1: Meine Geschichte des Jahres: "Die eklige Wahrheit über Kaufland"

Published 4 hours ago
Source: stern.de
Serie – Teil 1: Meine Geschichte des Jahres: "Die eklige Wahrheit über Kaufland"

Als Reporter von stern und RTL üble Missstände bei einer der größten deutschen Supermarktketten enthüllten. In dieser Serie empfehlen Redakteure ihre Lieblingstexte aus 2025.

Investigativer Journalismus kommt häufig mit Schlapphut, Räuberpistole oder geheimen Datenleaks daher. Da werden feindliche Geheimdienstaktivitäten auf deutschen Boden aufgedeckt, spektakuläre Kunstraube rekonstruiert, da werden Festplatten übergeben und Steuersünder in ganz Europa enttarnt. Auch beim stern machen wir viele solcher Recherchen: In diesem Jahr, 2025, haben wir zum Beispiel die wahren Ursachen eines tödlichen Schiffsunglücks aufgeklärt und uns in ein Nazi-Netzwerk von Jugendlichen eingeschleust und einen mutmaßlichen Bombenanschlag verhindert. Das alles ist sind spektakuläre Recherchen. Aber sie haben – Gott sei Dank – nicht immer mit dem unmittelbaren Alltag unserer Leserinnen und Leser zu tun.

Eine Recherche, die ich Ihnen deswegen besonders ans Herz legen will, ist in dieser Hinsicht anders: Inside Kaufland heißt sie. Sie erzählt die eklige Wahrheit über eine der größten Supermarktketten in Deutschland. Ich persönlich war seit der Veröffentlichung nicht mehr bei Kaufland einkaufen und gucke mich auch in anderen Supermärkten sehr viel genauer um als vorher. Also Triggerwarnung, bevor Sie weiterlesen: Es wird etwas unappetitlich. 

Meine Kolleginnen und Kollegen haben von Juli 2024 bis April 2025 für das Projekt recherchiert. Unter anderem haben sie 50 von Kauflands Märkten in Deutschland untersucht, etliche Fleischproben im Labor prüfen lassen. Zudem arbeiteten zwei Reporterinnen als Verkäuferinnen in zwei verschiedenen Märkten.

Das Ergebnis dieser Großrecherche war, dass das Reporterteam in 48 der 50 untersuchten Märkte teils gravierende und gesundheitsgefährdende Hygienemängel entdeckte. Verschmutzte Kühlregale und Fäkalbakterien auf Hähnchenfleisch, Mäusekot, umdatierte Waren aus der Frischetheke – und mehr. Einige der aufgedeckten Missstände verstießen nach Ansicht von Experten gegen Gesetze zur Lebensmittelsicherheit.

Da waren Kunden, die sich über Mäuse in einer Backwarenabteilung beschwerten. Verkäuferinnen, die sich über Mäusekot dort längst nicht mehr zu wundern schienen. Und Mitarbeiter, die von Tiefkühlware berichteten, die mehrere Stunden ungekühlt im Lager stehe.

Besonders schockiert haben mich die Tricksereien, die das Reporterteam in Filialen von Kaufland miterlebt hat. Zum Beispiel verschimmelter Käse, der aufgehübscht wurde für den Verkauf. Oder Wurstwaren und Fischsalate an der Frischetheke, mit deren Haltbarkeitsdaten gemogelt wurde.

Das alles war hervorragende Reporterarbeit. Es gibt aber noch einen Grund, warum ich explizit diese Recherche empfehlen will. Und zwar wegen der Wirkung, die sie entfaltet hat.

Denn seien wir ehrlich, oft läuft es in unserem Job so: Wir decken Missstände auf in einem Unternehmen oder auch in der Politik auf. Und nicht selten streiten die Beschuldigten rundheraus alles ab. Oder aber sie schweigen und hoffen, dass die Leute schnell vergessen.

Anders war es bei Kaufland: Wie üblich konfrontierten meine Kollegen den Konzern vor der Veröffentlichung mit den Rechercheergebnisse. Kaufland beteuerte, man gehe den Hinweisen nach, einige der beschriebenen Mängel entsprächen "definitiv nicht unseren Vorgaben". Die Qualität der Produkte und der Schutz der Kunden, schrieb Kaufland, hätten "für uns oberste Priorität".

Und tatsächlich, das Unternehmen machte ernst: Unmittelbar nach der Veröffentlichung wechselte Kaufland Filialleiter aus, schloss zwei Märkte und berief Krisensitzungen ein. Mitarbeiter aus ganz Deutschland bedankten sich bei meinen Kollegen, weil die Missstände endlich öffentlich wurden. 

Kaufland versprach zudem, jedes Jahr eine halbe Milliarde Euro in neue Kühlmöbel investieren. Dazu kündigte das Unternehmen einen "Fünf-Punkte-Plan", um die Hygiene in Märkte zu verbessern. Unter anderem beauftragte es den TÜV Süd, alle 780 Filialen unangekündigt zu kontrollieren.

Auch die stern-Leserinnen und -Leser wollten – wie ich – alles genau wissen über die widerlichen Sitten in manchen Supermarktfilialen des Landes. Die zahlreichen Artikel und die Video-Doku über die „Inside Kaufland“-Recherchen gehörten zu den meistgeklickten stern-Geschichten des Jahres 2025. Absolut verdient, wie ich finde. 

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