Auf einer Wanderung durch den Himalaja erlebte der Fotograf Bernd Jonkmanns eine Welt, in der Menschen jeden Tag Grenzen überwinden müssen. Eine Tour rund um den Manaslu.
Dort oben, enthoben von allem, was wir aus der normalen Welt kennen, gelten Regeln, die seltsam klingen. Eine lautet: Du bist entweder ein Hase oder eine Schildkröte. Du kannst den Berg hinaufhüpfen. Oder ihn langsam bezwingen. Du wirst, egal wie, ankommen. So sagt es Satish Man Pati, der Mann, der eine Gruppe von Reisenden um den Manaslu führt, den achthöchsten Berg der Welt, gelegen im westlichen Teil des Himalaja-Gebirges. 8163 Meter ragt der "Berg der Seele", wie ihn die Menschen dort nennen, in den Himmel von Nepal. Er gilt als einer der meistbestiegenen 8000er, doch wer sich nicht hinauf in die Zone wagt, in der die Luft furchterregend dünn wird, kann ihn umrunden, in knapp drei Wochen.
Ein karges Leben, wie von Höherem gesteuert
Der Fotograf Bernd Jonkmanns hat sich auf dieses Abenteuer eingelassen, hat eine Gruppe versammelt, Familie und Freunde, die alle einmal ins Dachgeschoss der Welt hinaufsteigen wollten. Sie waren gewarnt: Der Weg ist weit und steinig, und je höher ein Rastplatz liegt, desto bescheidener sein Komfort. Wer nach oben will, muss vieles aushalten können. Auch sich selbst.
Hinter Kathmandu, dem Startort, ist die Gruppe noch im Bus unterwegs, bald auf Schotter, seitwärts der Abgrund. Am Ende aller Straßen halten sie an einem Teehaus, so heißen die Bergunterkünfte im Himalaja. Die Gruppe wird erwartet vom Tourenteam, Männern zwischen 18 und 40, die sie begleiten werden; jeder von ihnen trägt das Gepäck von je zwei Wanderern, rund 30 Kilo insgesamt. Für jeden Wanderer selbst bleiben etwa acht Kilo. Hinter dem Teehaus zieht sich der Weg durch zerklüftete Schluchten, die von Seilbrücken überspannt werden.
Selbstversorger im Himalaja
Die Berge hier tragen keinen Namen, die Einheimischen nennen sie lediglich "Hügel". Noch stehen sie wie eine Trennwand vor den Riesen dahinter. In den Dörfern, die der Trupp in den folgenden Tagen durchwandert, leben die Menschen vom kargen Ertrag ihres Gartens und ihres Viehs. Die Milch liefern die Yaks, Hochgebirgsrinder mit dichtem Haarkleid und gewaltigen Hörnern. Yakkäse hat die Farbe von mittelaltem Gouda und erinnert im Geschmack an Pecorino. Warentransport in diese Höhen ist beschwerlich und meist nur auf Maultieren möglich; trotzdem finden sich Läden hier, die wirken wie ein Kiosk, bunt gefüllt mit Süßigkeiten. Eine Bäckerei auf 4000 Metern Höhe hat sogar Apple Pie im Angebot.
An einem anderen Tag kommen die Reisenden in einem Kloster an, in dem sie eine Kinderschar mit englischen Sätzen begrüßt: "How are you? What’s your name?" – Klosterschülerinnen und Klosterschüler, manche noch ganz klein, andere fast im Erwachsenenalter. Es handelt sich um eine Art Internat, die Kinder werden von Mönchen erzogen. Ihre Ausbildung gleicht einer Abhärtung; das Wasser kommt aus einem Hahn in der Mauer, die Nächte sind oft kalt. Der Vorsteher des Klosters bietet den Gästen an, ihn zu fragen, was immer ihnen auf dem Herzen liege. Wie er mit seinen Ängsten umgehe? Er sagt, er lese dann in seiner Lieblingsschrift von Buddha, und geht sodann wirklich in die Bibliothek und zeigt eine 600 Jahre alte Papierrolle.
Eine Wanderin wird später berichten: "Unser Körper wurde beansprucht durch das viele Gehen. Unser Geist aber genährt von solchen Begegnungen."
Mensch und Tier leben friedlich miteinander
Auch für die Tiere, die so weit oben im Gebirge leben, gleicht das Kloster einem Ort des Friedens: Die wilden Ziegen laufen nicht vor den Menschen weg, denn sie wissen, ihnen wird nichts angetan – viele Buddhisten sind Vegetarier.
Gleichwohl ist nicht alles nur Idylle in der Höhe. An den Wegrändern findet sich viel Weggeworfenes, und mancher Bewohner, dem die Reisenden abends im Gasthaus begegnen, riecht nach Schnaps.
Der Geist wird genährt von vielen Begegnungen
Nach gut einer Woche erreicht die Gruppe ein Hochplateau, eine Arena auf 4000 Metern, gerahmt von den Eisriesen. Der Blick, der über Stunden am Boden haftete, damit man nicht stolperte oder ausrutschte, geht ins Vertikale. Der Wind trägt aus der Ferne das Bimmeln der Halsglocken der Yaks heran, ansonsten: totale Stille im Angesicht der Giganten aus Stein, Eis, Schnee.
Der höchste Punkt der Tour findet sich am Larke Pass, 5106 Meter, Gebetsfahnen sind dort gespannt zwischen Steinhaufen. So wenig Sauerstoff ist in der Luft, dass jeder Schritt anstrengt. Die Gedanken im Kopf: Wir sind so verdammt weit weg von allem! Der eigentliche Berg, so schildern es die Teilnehmer, seien die eigenen Gefühle, die man überwinden müsse. Niemand hat mehr die Kraft für Small Talk. Man konzentriert sich, wie bei einer Meditation, auf das Atmen.
Die Belohnung? Essen und etwas Wärme
Einmal treffen sie einen Maultiertreiber, der ihnen anbietet, sie für 50 Dollar auf einem seiner Tiere mitzunehmen, doch selbst die Erschöpftesten denken bei sich: Ich muss es selbst schaffen. Denn wenn ich das hier schaffe, kann ich alles im Leben bewältigen. Die Belohnung am Ende eines solchen Tages: das Essen, das der mitwandernde Koch, auch er Teil des Teams, zubereitet. Und der dicke Daunenschlafsack, die Wärmflasche.
Als sie an einem Morgen aus dem Schlafsack schlüpfen, hat es geschneit, eine unwirklich ruhige Welt breitet sich vor ihnen aus. Selbst das Wenige, das sich da oben zuvor noch bewegt hatte, die Himalaja-Murmeltiere etwa, scheint zum Stillstand gekommen zu sein. Da sind sie bereits wieder im Abstieg, lassen die Steinwüste langsam hinter sich. Auf den ersten Rhododendren, die sie passieren, hat sich Schnee gesammelt, die ersten Häuser, die auftauchen, sind lilafarben angestrichen. Bald durchwandern die Füße einen moosigen Wald. Wie beim "Hobbit", denken einige.
Am Ziel, Tage später, feiern sie eine Party, und der Koch backt einen Schokoladenkuchen. Was von der Reise bleibt? Wir waren in Kontakt mit dem Himmel und mit der Erde, sagen die Wanderinnen und Wanderer. Ein paar von ihnen wollen zurückkehren in dieses Zwischenreich.
