Glauben: Warum die Gen Z der Kirche wegläuft

Published 3 hours ago
Source: stern.de
Glauben: Warum die Gen Z der Kirche wegläuft

Wieso verliert die Kirche immer mehr junge Mitglieder? Woran glaubt die Generation Z stattdessen? Die RTL-Reportage "Deutschland, stabil?" geht dem Wandel nach.

Rubi rappt. Die 25-Jährige ist in einer gläubigen syrisch-orthodoxen Familie aufgewachsen, in Bayern. Mittlerweile lebt sie in Berlin. Der Glaube ist auch in der Hauptstadt fester Bestandteil ihres Lebens, die Kirche als Institution ist es nicht. "Ich genieße die Kirche mit einer gewissen Distanz." Beten? Das mache sie: "Vor dem Schlafengehen spreche ich das Vaterunser." Aber jeden Sonntag in die Kirche gehen? Das sei nichts für sie, sagt Rubi.

Ein Glaube ohne Gebäude oder Institution

Die Künstlerin pflegt ein intensives Verhältnis zu Jesus, wie sie sagt, aber es sei ein sehr persönliches, eines ohne Gebäude oder Institution. Sie nennt Jesus "ihren Ansprechpartner". Wird sie negativ überrascht, spreche sie ihn an: "Jesus, ich weiß grad nicht, was das soll, aber du wirst schon deinen Plan haben." Jesus, der Lebensberater? Für Rubi ist er das. In einem Glücksmoment oder wenn etwas Gutes passiert, sagt sie immer "Danke Jesus". So auch vor ihren Auftritten: "Am krassesten ist es vor Stagetime, also vor dem Konzert. Da wird immer nochmal hinter der Bühne gebetet."

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Mehr als 90.000 Menschen folgen der Rapperin auf Instagram. In ihre Musik lässt sie ihren Glauben nur subtil einfließen. Sie will niemanden evangelisieren, sondern junge Leute dazu inspirieren, in Jesus wieder ein Vorbild zu sehen.

Ein Negativrekord für die katholische Kirche

Nicht nur Rubi zweifelt an der Institution Kirche. Jedes Jahr treten in Deutschland Hunderttausende Menschen aus. 2022 haben mehr als eine halbe Million Menschen der katholischen Kirche den Rücken gekehrt. Ein Negativrekord.

Auch Jakob ist ausgetreten. "Am Anfang dachte ich, vielleicht lässt sich noch was verändern. Aber als es mit der Zeit immer enger aussah, da habe ich mir irgendwann überlegt: Gäbe es mich eigentlich, wenn die Kirche damals die Hauptmacht gehabt hätte?" Der Student aus Köln ist in einer queeren Familie aufgewachsen. Jakob hat zwei Mütter, eine von ihnen war Lehrerin für katholische Theologie. Auch sie ist ausgetreten. Der Auslöser: "Bei meiner Mutter und mir war es irgendwann die Tatsache, dass sich so viele Skandale angehäuft haben und dass Homosexuelle nicht gesegnet werden durften."

Porträt Jakob
Der 22-jährige Jakob aus einer queeren Familie wollte mit gutem Beispiel in der Kirche vorangehen – inzwischen ist auch er ausgetreten
© RTL

Ein lesbisches Paar, das ein Kind hat, das "ist laut der Kirche ja eigentlich nicht erwünscht", sagt Jakob. Dabei wollte er immer ein Beispiel dafür sein, dass sich eine queere Familie und die katholische Kirche eben doch vereinen lassen. Aber irgendwann hätten sie die Reißleine gezogen, seine Oma, seine Mutter und er. Auch ums Geld ging es dem 22-Jährigen am Ende: "Will ich eine Institution, die so sehr gegen mein eigenes Verständnis und teilweise auch gegen meine eigenen Werte agiert, wirklich noch finanziell unterstützen? Mache ich mich vielleicht mitschuldig für die Missbrauchsfälle, für die ganzen fragwürdigen Statements?"

Seine Hoffnung darauf, doch nochmal in die katholische Kirche einzutreten, ist nicht besonders hoch, sagt Jakob am Rhein, wo wir ihn interviewen, mit dem Kölner Dom im Rücken – dem wohl berühmtesten Wahrzeichen der Katholiken in Deutschland. Aber: "Vielleicht sieht die Situation in ein paar Jahrzehnten doch ganz anders aus." Schließlich seien ihm Werte wie Nächstenliebe sehr wichtig. "Und auch der Gemeinschaftssinn, dass alle erst mal ohne kommerziellen Zweck zusammenkommen und eine Gemeinschaft bilden, an etwas glauben, zusammen für etwas einstehen, sich auch zusammen engagieren, das finde ich sehr schön und auch wichtig in einer Gesellschaft."

"Glaubensmomente entstehen in Gemeinschaft"

In Winterstein, etwa 50 Kilometer von der thüringischen Hauptstadt Erfurt entfernt, leben etwas weniger als 1000 Einwohner, sagt Joel, und 250 von ihnen seien noch in der Kirche. Der 21-Jährige muss es wissen, seine Mutter ist die Pastorin in der Gemeinde. Es ist ein idyllischer, kleiner Ort. Als wir Joel treffen, liegt Schnee, und es ist ziemlich kalt – auch in der Kirche, in der wir uns verabredet haben.

Porträt Joel in einer Kirche
Der 21-jährige Joel richtet sein Leben am Glauben aus. Er ist gerne Teil der Kirchengemeinschaft
© RTL

"Der Glaube ist der größte Ankerpunkt in meinem Leben", erzählt Joel. Er ist hier aufgewachsen, in der thüringischen Provinz. Aktuell studiert er internationale Beziehungen in Erfurt, kommt aber jede Woche nach Hause, um sich in seiner Gemeinde zu engagieren. Manchmal hält er sogar die Predigt, denn Joel ist Lektor. Das bedeutet, er darf eine Predigt lesen, die ein anderer Pfarrer oder eine Pfarrerin schon mal gehalten hat. Er darf Sätze ändern und umschreiben, aber den Sinn der Vorlage nicht verändern. Denn Theologie hat er nicht studiert, und somit darf er das Wort Gottes nicht interpretieren.  

Seine Motivation? "Es ist wichtig, im Kämmerlein Bibel zu lesen, aber die richtigen Glaubensmomente entstehen in Gemeinschaft." Auch deshalb wolle er sein Leben am Glauben ausrichten – "das gelingt nie perfekt, weil wir Menschen sind, aber der Glaube ist der Grundstein, das Fundament meines Lebens."

Joel übt aber auch Kritik. Vor allem ein Widerspruch beschäftigt ihn: Die Kirche büße in seiner Generation massiv an Vertrauen ein. Und das, obwohl man "vom Selbstverständnis der Kirche" die Antworten auf die Fragen hätte, "die sich die Gesellschaft stellt, die sich auch meine Generation stellt", sagt der 21-Jährige. Doch es gelinge der Kirche nicht, diese Antworten zu geben.

Selbst er zweifelt. "Aber immer, wenn ich zweifle, dann komme ich irgendwann dahin: Es würde gar keinen Sinn ergeben, wenn es nicht einen Gott gibt, der das alles erschaffen hat. Wozu diese Welt? Wozu dieses Leben?"

Warum es der Kirche nicht gelingt, für seine Generation attraktiv zu sein? Er weiß es auch nicht wirklich. Aber Menschen wie Joel sind eine Chance für die Kirche. Tief im Glauben verwurzelt, sogar auch in der Institution. Sie könnten am ehesten helfen, den Mitgliederschwund zu stoppen.

Mehr dazu erfahren Sie in der RTL-Reportage "Deutschland, stabil?" auf Youtube. 

Hinweis der Redaktion: Der stern gehört zu RTL Deutschland.

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