Kolumne Ganz Naher Osten: Und täglich grüßt die Apokalypse

Published 3 hours ago
Source: stern.de
Kolumne Ganz Naher Osten: Und täglich grüßt die Apokalypse

Parallel zu Krisen und Kriegen geht 2026 das liberale Deutschland unter, beginnend mit AfD-Siegen im Osten der Republik. Oder? Ein Plädoyer wider die Unausweichlichkeit.

Neulich schaute ich mal wieder im Landtag in Erfurt vorbei. Die Plenarsitzung war unterbrochen, und so ging ich in die Kantine, um wen auch immer zu treffen. Als ich noch bei der örtlichen Tageszeitung arbeitete, hatten hier so einige meiner interessanteren Recherchen begonnen.

Und siehe: In der Schlange, die mich zum Ananas-überbackenen Putensteak mit Pommes führte, stand prompt der freistaatliche Innenminister. Georg Maier hat auch außerhalb Thüringens eine gewisse Bekanntheit erlangt, weil er seit Jahr und Tag das Verbotsverfahren gegen die AfD fordert. Wir beide sind uns nicht nur bei diesem Thema einig, nicht einig zu sein.

An diesem Mittag war der Sozialdemokrat arg blass um die Nase, zum einen, weil er die ganze Nacht im Flieger verbracht hatte, zum anderen, weil er zuvor in Washington D.C. am Transatlantischen Parlamentarischen Forum teilgenommen hatte, also einer Einrichtung aus jener Zeit, als die Nato noch die Nato war. 

Die AfD durfte die US-Regierung treffen

Die Amerikaner habe er auf der Versammlung kaum gesehen, berichtete der Minister beim Essen. "Für die ist das offenbar nicht mehr wichtig." Dafür hätten die angereisten AfD-Abgeordneten aus dem Bundestag obenauf gewirkt, auch weil sie, im Unterschied zu ihm, offenbar US-Regierungsvertreter treffen durften.

"Das sind ganz andere USA als die, die ich früher kannte", sagte Maier. In Washington habe es nur so von Polizisten in schwarzen Uniformen gewimmelt, während die Nationalgarde durch die Straßen patrouilliert sei.  

Der Minister wirkte so, als sei er einer Dystopie entstiegen, was ihn besonders zu belasten schien, da er es daheim auch nicht gerade leicht hat. Fast sechs Jahre ist der Sozialdemokrat Maier Mitglied von Minderheitsregierungen, erst mit Linken und Grünen, nun mit der CDU und dem BSW. In dieser Zeit schrumpfte seine SPD noch mehr zur Kleinpartei, während die AfD unter Björn Höcke zur mit Abstand stärksten Kraft wuchs. Entsprechend ist der Fatalismus, mit dem Maier auf die neue, komplizierte Welt blickt.

Nachdem ich mein Putensteak im Beisein des traurigen Ministers verspeist hatte, wechselte ich zwei Tische weiter, um mit Katja Wolf Kaffee zu trinken. Auch die Vizeministerpräsidentin, Finanzministerin und BSW-Landeschefin sah sehr erholungsbedürftig aus. Schließlich war sie ein paar Tage zuvor auf dem Bundesparteitag in Magdeburg von Sahra Wagenknecht verbal gesteinigt worden. 

Wenn ich die Rede der großen Ex-Vorsitzenden richtig verstanden habe, hat Wolf die hehren Friedensideale des BSW für ein paar schnöde Regierungspfründe aufgegeben und die AfD völlig sinnloserweise von der Macht ferngehalten – und, das ist die größtmögliche Verfehlung: Wagenknechts Bestimmung als Fraktionschefin im Bundestag sabotiert. Im Ergebnis darf die Landeschefin endgültig als vogelfrei gelten.

Nun lässt sich begründet argumentieren, dass Wolf das Wohl ihres Landes über das Interesse einer radikalpopulistischen Partei gestellt hat. Aber die BSW-Führung hat es bekanntlich nicht so mit Argumenten. Damit stellt sich nicht mehr die Frage, ob ihre Landtagsfraktion und die zugehörige Koalition implodieren könnten, sondern nur wann. Dann wäre das Regieren in Erfurt wieder mindestens so schwierig wie im benachbarten Sachsen. 

Und wie das im kleinen Erfurter Landtag so ist, lief mir auch noch Björn Höcke über den Weg, also der Mann, der, wenn es nach der neuen Nationalen Sicherheitsstrategie der USA geht, ein patriotischer Hoffnungsträger Europas ist. Genauer gesagt, lief ich ihm gezielt über den Weg, weil ich ihn fragen wollte, wie es denn weitergehen solle im zuletzt eskalierten AfD-Infight um die Wehrpflicht. 

Der fröhliche Björn Höcke 

Ach das, sagte Höcke in fröhlichem Ton, so groß sei der Dissens doch gar nicht. In den nächsten Monaten dürfte es eine Einigung geben. Und überhaupt werde das ein sehr gutes Jahr 2026.

So lässt sich das betrachten, wenn man autoritäre Herrscher und nationale Egomanie super findet, das russische Imperium umarmt, den Multilateralismus einschließlich Uno und EU verabscheut, möglichst viele Zuwanderer abschieben möchte und ganz allgemein zurückwill in eine Epoche, in der noch ein Bismarck ordentlich durchregierte. 

Ich hingegen will dies alles dezidiert nicht, so wie eine Mehrheit der Menschen in Deutschland, wobei diese Mehrheit im Osten ausweislich der Umfragen zu verschwinden droht. Im September könnte die AfD bei den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern dafür den Beweis erbringen. 

Vielleicht kommt es dann zur ersten AfD-Alleinregierung. Vielleicht bräche dann auch die wackelige Koalition im Bund zusammen, mit nachfolgender Minderheitsregierung oder einer Neuwahl, die von der AfD gewonnen würde. Und vielleicht würde sich dies einordnen in einen Diktatfrieden in der Ukraine, das Auseinanderbrechen der Nato, einen Krieg in Venezuela, eine israelische Annexion der Westbank und eines Angriffs Chinas auf Taiwan, während sich die EU in Paralyse befände und Chat-GPT 7 außer Kontrolle geriete.

Der Untergang steht bevor

Vielleicht? Ach was, ganz bestimmt! Kulturpessimismus ist die alte neue In-Seuche, für die es keine Kur gibt, nicht einmal auf dem Weingut in der Toskana oder im Retreat in Thailand. Von links betrachtet droht Faschismus, von rechts außen die nationale Selbstvernichtung. Und täglich grüßt die Apokalypse.

Ich jedenfalls bin anfällig für das Syndrom, das dort, wo nicht Deutschland ist, gerne als "German Angst" bezeichnet wird. Als Kind lag ich wohlig schauernd in meinem Bett, blickte aus dem Fenster in die dunkle Nacht und stellte mir vor, wie der unvermeidliche Atomblitz den sterbenden Fichtenwald ein letztes Mal erleuchten würde, bevor alles vernichtet wäre was mir, da es ja auch die garstigen Schulbullies treffen würde, durchaus als ambivalentes Szenario erschien. Irgendwann muss man ja sowieso sterben, oder nicht?

Doch erfreulicherweise berappelten sich die Fichten wieder. Die Bullies schafften es nicht in die Oberstufe, und auch die Atombombe blieb in ihrem Bunker. Armageddon fiel aus.

Das Ende der Erde

Stattdessen wurde ich nach dem Abitur im Jahr 1990 in Freiheit und Frieden entlassen. Ich durfte die Welt bereisen, studieren und eine Familie gründen. Und ich wollte daran glauben, dass es auch für meine Kinder und potenzielle Enkel so bleiben würde.

Leider kommt es nun auch wieder anders als gedacht. Sogar die verdammten Fichten sterben wieder, und diesmal tatsächlich. 

Doch da ich inzwischen 54 bin und eineinhalb Gesellschaftszyklen durch habe, versuche ich, mir einen pragmatischen Ansatz zu verordnen. Ja, der sogenannte Klimawandel wird ebenso voranschreiten wie die sogenannte demografische Entwicklung. Und ja, wir werden alle zu unterschiedlichen Zeitpunkten sterben, genauso wie diese Erde, wenn in ein paar Milliarden Jahren der Stern, der unsere Sonne ist, zum Weißen Riesen wird. 

Was aber jetzt endet, ist erst einmal 2025, und nicht mehr. Ansonsten ist nichts vorherbestimmt oder unausweichlich. 

Nicht einmal die AfD.

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