Nach einer Trennung sieht man sein Kind seltener. Oft verändert es sich, lernt etwas Neues, wenn man nicht dabei ist. Manchmal fühlt es sich beinahe fremd an.
Und plötzlich fuhr sie los und war nicht mehr aufzuhalten. Es war vor ein paar Monaten, es war Sommer. Einer dieser Berliner Sommer, in denen die Tage lang sind und alles ein bisschen leichter wirkt, als es eigentlich ist. Ich hatte meine Kinder eine Zeit lang nicht gesehen. Fünf Tage, mehr nicht. Alltag im Wechselmodell. Ich holte unsere Kinder von der Kita ab, sah ihre Fahrräder im Hof stehen und freute mich darauf, auf dem Weg zur Eisdiele weiter mit unserer Tochter das Fahrradfahren zu üben. Unser Sohn konnte es schon eine Weile, es machte ihm so viel Freude, und seine Freude ließ mein Herz aufgehen. Wenn er mutig, laut ausrufend einen kleinen Hügel im Park runterraste, rutschte mir das Herz in die Hose vor Sorge, und zeitgleich platzte ich vor Stolz – oder vielmehr vor Bewunderung über seinen Mut.
Die ersten Momente der eigenen Kinder
Wir gingen also zusammen zu ihren Fahrrädern, ich entriegelte das Zahlenschloss, und die Kinder setzten sich auf ihre Fahrräder. Ich fing an, meine Tochter am Rücken zu stützen, so wie ich es in den Wochen zuvor getan hatte. Doch sie sagte, ich solle es lassen, sie könne es schon alleine, und in diesem Moment fuhr sie auch schon los und ließ mich erstaunt im Hof stehen.
Ich stand da und klatschte. Ich war stolz. Und gleichzeitig traf mich etwas völlig Unerwartetes: Ich war nicht dabei gewesen, als sie es gelernt hatte. Der erste Moment. Der erste richtige. Der Moment, in dem jemand losfährt, wackelt, fast fällt, sich fängt. Der Moment, in dem Eltern normalerweise nebenher rennen und dann rufen: "Ich lass los!" So erinnere ich mich noch heute, dass mein Vater mich genau so hielt, mich auf einmal losließ und ich ohne seine Hilfe zum ersten Mal in meinem Leben Fahrrad fuhr. Dieser Moment, ich war vielleicht vier oder fünf Jahre alt, hat sich für immer einen Platz in meinem Gedächtnis gesichert – nichts daran war banal, alles war von Bedeutung. Und genau diesen Moment hatte ich nun bei meiner Tochter verpasst. Ich war einfach nicht dabei gewesen.
Die Wahrheiten getrennter Elternschaft
Meine Kinder sind vier und fünf Jahre alt. Marie und ich teilen uns die Sorge um sie hälftig auf. Ich sehe meine Kinder jede Woche. Es gibt keine langen Abwesenheiten, keine wochenlangen Lücken. Und trotzdem reicht manchmal eine etwas längere Pause, damit etwas Entscheidendes passiert. Kinder brauchen keine Wochen, um sich zu verändern. Manchmal reichen ein paar Tage. Trennung bedeutet in unserem Fall nicht: verschwinden. Aber sie bedeutet: nicht immer dabei sein. Und das ist ein Unterschied, den man erst versteht, wenn man ihn erlebt. Entwicklung passiert nicht mehr kontinuierlich vor den eigenen Augen, sondern in Etappen. Man bekommt sie manchmal nur erzählt, gezeigt und vorgeführt. Und teilweise nicht miterlebt. Das tut weh.
Dieser Schmerz hat nichts mit Besitzansprüchen zu tun. Er kommt nicht aus Eifersucht oder Konkurrenz. Er kommt aus dem Wunsch, Zeuge zu sein. Aus dem Bedürfnis, da gewesen zu sein, als etwas zum ersten Mal passiert ist.
Ich kenne diese Momente inzwischen. Mein Sohn benutzt plötzlich Wörter, die ich nie von ihm gehört habe. Meine Tochter erzählt von Situationen, die ich nicht kenne. Ich höre zu und merke: Ich muss aufholen. Nicht an Zeit, sondern an Verbindung. Und das, obwohl ich präsent bin, mich kümmere, da bin, die Hälfte der Zeit. Aber die Hälfte der Zeit da zu sein, bedeutet eben auch, die Hälfte ihrer Kindheit nicht da zu sein. Das ist vielleicht eine der leisesten Wahrheiten getrennter Elternschaft: Auch bei fairer Aufteilung bleibt das Gefühl, manchmal einen halben Schritt zu spät zu kommen.
Die Versuchung ist groß, das kompensieren zu wollen. Mehr zu machen. Intensiver. Aber Kinder brauchen keine Kompensation. Was sie brauchen, ist Anschluss, Interesse, Präsenz. Also habe ich meiner Tochter nicht gesagt, wie schade ich das finde. Ich habe sie einfach gebeten, es mir nochmal zu zeigen. Wir sind gemeinsam eine Runde gefahren. Dann noch eine. Ich bin nebenhergelaufen, später hinterher. Und irgendwann war ich wieder Teil dieser Geschichte.
Vielleicht ist das die Aufgabe nach einer Trennung: zu akzeptieren, dass man nicht mehr alle ersten Male erlebt. Und trotzdem dazubleiben. Für all die Male danach. Nähe entsteht nicht nur im Ursprung eines Moments, sondern auch in der Wiederholung. In dem gemeinsamen Weitergehen. Oder Weiterfahren.
