Die Kölner Silvesternacht vor zehn Jahren erschütterte das allgemeine Sicherheitsempfinden. Henriette Reker, damals Kölns Oberbürgermeisterin, bereut eine ihrer damaligen Aussagen.
Die Bilder aus Köln sorgten für Schockwellen in Deutschland – und gingen um die Welt: im Vordergrund junge, dunkelhaarige Männer, vor ihnen Rauch und explodierende Feuerwerkskörper, im Hintergrund die Portale, Fenster und Strebebögen des Kölner Doms. Das Areal zwischen Kathedrale und Hauptbahnhof war in der Silvesternacht 2015/16 Schauplatz sexueller Übergriffe auf Frauen.
Nach Angaben der Staatsanwaltschaft Köln gab es 1210 Strafanzeigen, von denen sich 511 auf sexuelle Übergriffe bezogen. Angeklagt wurden letztlich 46 Personen, von denen 36 verurteilt wurden – nur zwei wegen sexueller Nötigung. Der Großteil der Beschuldigten kam aus Nordafrika, vor allem aus Algerien und Marokko – nicht aus Syrien, dem Land, aus dem in den Monaten zuvor Hunderttausende Kriegsflüchtlinge in Deutschland Schutz gesucht hatten.
Die Kölner Silvesternacht löste 2016 eine intensive Debatte über die Flüchtlingspolitik der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und über das erschütterte Vertrauen in den Rechtsstaat aus. Dabei ging es auch um die Rolle der Medien, etwa um die Frage, ob in Berichten über Straftaten die Nationalität des Täters genannt werden sollte.
Henriette Reker: "Auch ich habe Fehler gemacht"
Auch Henriette Reker, zu dem Zeitpunkt die parteilose Oberbürgermeisterin von Köln, geriet nach der Silvesternacht in die Kritik. Sie war damals erst wenige Wochen im Amt. Auf einer Pressekonferenz nach den Übergriffen in der Silvesternacht fragte eine Journalistin, wie sich Frauen besser schützen könnten. Reker antwortete, es gebe "immer eine Möglichkeit, eine gewisse Distanz zu halten, die weiter als eine Armlänge betrifft. Also von sich aus gar nicht eine große Nähe zu suchen zu Menschen, die einem fremd sind und zu denen man kein gutes Vertrauensverhältnis hat". Nach massiver Kritik im Netz verteidigte sich Reker, entschuldigte sich später aber auch.
Heute, rund zehn Jahre später, sieht sie ihre damalige Aussage anders. "Auch ich habe Fehler gemacht. Mein Zitat mit der Armlänge Abstand war falsch, denn es hat den Eindruck erweckt, als hätten die Frauen die Straftaten vermeiden können", sagte sie dem "Kölner Stadt-Anzeiger". "Das konnten sie aber nicht, und das habe ich auch nicht gemeint."
Damals habe es eine Broschüre über Partysicherheit für Mädchen und junge Frauen gegeben. Diese habe geraten, bei der Gruppe zu bleiben, auf das Getränk aufzupassen und immer eine Armlänge Abstand zu halten.
"Daraus habe ich zitiert, aber das war natürlich unpassend. Die Frauen in der Silvesternacht konnten keine Armlänge Abstand halten."
Der anschließende Shitstorm, den sie nach der Äußerung erlebt habe, habe Reker aber weit weniger berührt als das Schicksal der Frauen.
Reker bekam unerwartete Hilfe von Olaf Scholz
Reker erklärte außerdem, dass die Silvesternacht ein Wendepunkt in der deutschen Flüchtlingspolitik darstellte. Sie betonte jedoch: "Viele Menschen in Köln haben danach ihre Sorge vor Überforderung deutlicher und häufiger geäußert als vorher. Aber die Willkommenskultur hat sich nicht grundlegend verändert." Köln sei weiterhin eine offene Stadt geblieben.
Die heute 69-Jährige berichtete dem "Kölner Stadt-Anzeiger" auch von der Unterstützung eines weiteren Bürgermeisters: Olaf Scholz (SPD), damals der erste Bürgermeister Hamburgs. Er habe sie nach den Ereignissen rund um Silvester angerufen. "Er fragte, wie es mir mit der Situation geht. Er wisse, anders als er in Hamburg sei ich in Köln ja nicht für die Polizei zuständig, sagte er und bot mir an: 'Wenn Sie möchten, sage ich Ihnen jetzt einmal, was Sie von der Polizei erwarten dürfen.' Das habe ich dankbar angenommen." Scholz, der später Bundeskanzler wurde, habe ihr sehr geholfen.
Henriette Reker war von 2015 bis 20025 Oberbürgermeisterin von Köln. In ihrem ersten Wahlkampf wurde sie von CDU, Grünen und FDP unterstützt, fünf Jahre später von CDU und Grünen. Im Wahlkampf 2015 überlebte sie ein Messerattentat.
Quellen: "Kölner Stadt-Anzeiger", Nachrichtenagenturen AFP und DPA, "Spiegel", "Frankfurter Allgemeine Zeitung"
