Sozialleistungen: DGB-Chef: Kürzungen am Sozialstaat bedrohen Grundrechte

Published 2 hours ago
Source: stern.de
Sozialleistungen: DGB-Chef: Kürzungen am Sozialstaat bedrohen Grundrechte

Ist der Sozialstaat wirklich nicht mehr finanzierbar? Der Chef des DGB in Hessen und Thüringen hält das für eine Mär – und mögliche Kürzungen für Eingriffe in Grundrechte.

Der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) im Bezirk Hessen-Thüringen, Michael Rudolph, kritisiert eine Schieflage in der Debatte um die künftige Finanzierung des deutschen Sozialstaates. Der Sozialstaat sei ein integraler Bestandteil der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland, sagte Rudolph der Deutschen Presse-Agentur. Wenn über mögliche Kürzungen der Sozialleistungen gesprochen werde, dann sei das nicht weniger als eine Aufforderung zum Eingriff in die Grundrechte. Dieser Zusammenhang werde in der öffentlichen Debatte um steigende Sozialkosten aber zu wenig thematisiert. "Der Sozialstaat wird nicht mehr als Grundrecht diskutiert im Moment, sondern ausschließlich als Kostenfaktor – und das zum größten Teil auch noch jenseits jeglicher Faktenlage", sagte Rudolph.

Seit Monaten wird in Deutschland darüber gestritten, wie die steigenden Kosten bei der Altersabsicherung oder auch im Gesundheits- und Pflegesystem künftig bezahlt werden sollen. Nicht nur Arbeitgeberverbände plädieren dafür, den Sozialstaat zurückzubauen. Auch Vertreter unter anderem der CDU schlossen sich diesen Forderungen an. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) hatte im Sommer beispielsweise gesagt: "Der Sozialstaat, wie wir ihn heute haben, ist mit dem, was wir volkswirtschaftlich leisten, nicht mehr finanzierbar."

Grundrecht statt Rechenposten

Nach Ansicht von Rudolph ist es falsch, zu behaupten, die Sozialkosten seien zuletzt ins Unermessliche gestiegen und damit nicht mehr finanzierbar. Zwar sei es richtig, dass sich die Ausgaben zur Finanzierung von Sozialleistungen in den vergangenen Jahren erhöht hätten. "Natürlich geht nominal heute wesentlich mehr Gelder rein als vor zehn Jahren." Allerdings habe sich das Bruttoinlandsprodukt in dieser Zeit auch verdoppelt. "Das heißt im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung ist der Sozialstaat nie ausgeufert und wir haben auch in einer Situation - wo die einen immer reicher werden und die anderen immer mehr von Armut betroffen sind - eigentlich kein Finanzierungsproblem, sondern wir haben ein Verteilungsproblem."

Anders als es in der Rentendebatte jüngst erschienen sei, gebe es auch keinen Konflikt zwischen alten und jungen Menschen, sagte Rudolph. Es gebe einen Konflikt zwischen Arm und Reich. Um die Lage der Sozialkassen zu verbessern, müssten etwa auch Selbstständige und Beamte in die Rentenversicherung einzahlen, bekräftigte Rudolph entsprechende Gewerkschaftsforderungen. Außerdem brauche der Sozialstaat die Wiedereinführung der Vermögens- und der Erbschaftsteuer, "weil nur so können Sie über Steuerverteilung dann das Geld in die Sozialversicherung bekommen."

Dass derzeit dafür keine politischen Mehrheiten im Bundestag erkennbar seien, werde die Gewerkschaften nicht davon abhalten, dafür weiter einzutreten. "Die Forderung wird ja dadurch nicht falsch, dass es im Moment keine Mehrheit dafür gibt", sagte Rudolph.

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