"Harter Brocken: Die Erpressung": In der Dampflok zwischen Sorge und Elend: Im Harz-Krimi trifft Wildwest auf Ostgeschichte

Published 1 hour ago
Source: stern.de
"Harter Brocken: Die Erpressung": In der Dampflok zwischen Sorge und Elend: Im Harz-Krimi trifft Wildwest auf Ostgeschichte

Tote auf den Gleisen, Stasi-Geheimnisse und ein empathischer Sheriff: Im neunten Film macht die Krimi-Reihe "Harter Brocken" vor karger Landschaft und Dampflok-Kulisse auf Neo-Western. Und auch die DDR wirft im prominent besetzten Fall "Die Erpressung" wieder lange Schatten in die Gegenwart.

"Wo ist der Sozialismus zu Hause?", fragte einst ein beliebter DDR-Witz. "Zwischen Sorge und Elend", so die Pointe, die auf die politisch-ökonomische Situation anspielte, aber auch auf die gleichnamigen Örtchen, dank ihrer malerischen Lage im Harz nicht nur Spott-, sondern auch Touristenziele. Zwischen beiden verkehrt eine alte Dampflok, um die sich nun passenderweise der neunte Film der beliebten ARD-Krimireihe "Harter Brocken" dreht. Der neue Fall konfrontiert "Sheriff" Frank Koops alias Aljoscha Stadelmann mit einer Toten auf den Gleisen und beweist abermals, dass man Western-Atmosphäre und DDR-Geschichte durchaus gekonnt verknüpfen kann. Zwischen Stasi-Geheimnissen und erbarmungslosen Killern bringt der prominent besetzte Fall "Die Erpressung" an Weihnachten den Wilden Westen in den kargen Osten.

Nach actionreichem Einstand findet die Zugführerin der dampfenden Bahn die frische Leiche auf den Schienen zwischen Elend und Sorge. Und weil es sich bei der Ermordeten um eine Polizeibeamtin handelt, schaltet sich das LKA ein: Oliver Mienle (genial zwielichtig: André M. Hennicke) ist schon vor Koops da und will am liebsten auf eigene Faust ermitteln. Respektive mit seiner nicht minder eigenartigen Kollegin Sabine Berger (Irene Rindje), die nicht nur Politikerin werden will, sondern sich auch in der Rolle der liebenden Großmutter gefällt. "Mein Schatz, ich hoffe, du hast Lust auf Zuckerwatte", säuselt sie ihrer Enkelin nach einer Schießerei ins Telefon. Eindimensional kommen die Figuren der Autoren Klaus Burck und Michael Knoll jedenfalls nicht daher. Verdächtig dagegen schon: Dass mit den Ermittlern etwas nicht stimmt, wittern Koops und die Zuschauer gleich. "Sie haben zu viele Agentenfilme gesehen", lacht das Duo den Sheriff nur aus.

Stasi-Killer im Westen

Der herausragend gespielte Fall, der abgesehen von der kargen spätherbstlichen Schönheit des Harzes kaum Weihnachtliches bietet, ist bis in die Nebenrollen eindrücklich besetzt. Uwe Preuss verkörpert Horst Witt, einen ehemaligen Mitarbeiter des Stasi-Archivs, der zufällig einen Mikrofilm mit brisanten Informationen findet und nun auf der Flucht ist. Vor jenen, die ein Geheimnis aus Ostzeiten hüten wollen: Es geht um verdeckt im Westen mordende DDR-Agenten, die nach dem Mauerfall nicht aufflogen und ihre Karrieren einfach fortsetzten. Nun, da sie enttarnt zu werden drohen, gehen sie über Leichen.

Und wo ein Geheimnis, da ist auch die titelgebende Erpressung nicht weit: Das nett-naive Paar Bettina und Alexander Sterzinger (herrlich: Winnie Böwe und Tom Keune) bekommt über Witt Wind vom Mikrofilm und entschließt sich, so endlich den großen Traum vom Luxus-Wohnmobil zu erfüllen. "Wir sind wie Robin Hood!", interpretieren sie eigenwillig, obwohl sie doch gewarnt sind: "Ihr wisst überhaupt nicht mit wem ihr euch da anlegt."

Immerhin ist mit Stasi-Leuten nicht zu spaßen, wie sich auch Episodenhauptdarsteller Hennicke erinnert: "Das waren ganz normale Leute, von denen man jeden Tag umgeben war. Väter, Brüder, Onkel", lässt sich der selbst aus der DDR stammende Schauspieler zitieren: "Ich hatte einen Schwager, der mir in einer trunkenen Stunde anvertraut hat, dass er gern zu Stasi gehen würde. Weil er das aufregend fände, Menschen zu jagen."

"Ein Riesenspaß und Thrill"

Regisseur Hanno Olderdissen inszenierte seinen ersten Krimi der Reihe als Ehrerbietung an den Western, mehr noch als die bisherigen "Harter Brocken"-Filme, die mit dem Genre spielten. Die karge Landschaft mit ihren Örtchen könnte auch in den Ausläufern der Rockys liegen, die blutigen Verfolgungsjagden und der Showdown in Sorge und Elend zitieren die Klassiker. Und die grandiose Dampflok, auch aus der Luft und innen gefilmt, macht den legendären Zugräuber-Filmen samt standesgemäßer Verfolgungsjagd durch die Abteile alle Ehre. "Ein Riesenspaß und Thrill" sowie "logistisch und handwerklich eine Herausforderung" sei der Dreh mit der historischen Brockenbahn für ihn gewesen, erinnert sich Olderdissen: "Wann hat man im deutschen Krimi schon mal die Gelegenheit, Westernszenen mit einer echten Dampflok zu drehen?"

Dass der Krimi zwischen den actionreicheren Szenen bisweilen dahinplätschert, könnte man wohlwollend auch als Hommage ans teils langatmige Westerngenre verbuchen. Zumal ja auch der Sheriff eher der zurückhaltende Typ ist: Selbst in der Konfrontation mit Profikillern verliert er weder Ruhe noch Humor und Empathie: "Wenn er jemanden mag, dann mag er diesen Menschen auch mit etwaigen Fehlern", weiß Stadelmann über seine Figur.

Das sieht man etwa an seiner Beziehung zu Kumpel Heiner, die in diesem Fall in doppelter Hinsicht besonders ist: Nicht nur muss Koops dem Verlobten seiner Polizeikollegin Mette (Anna Fischer) beim Junggesellenabschied (Bier, Popsongs, Kippen und Brettspiel in der Kneipe) und Verfassen der Gelübde helfen, auch bekommt er es mit einem völlig neuen Heiner zu tun. Nach dem Ausstieg von Darsteller Moritz Führmann wird die Figur des etwas tollpatschigen Briefträgers ab sofort von Jakob Benkhofer gespielt, der seine Sache wirklich gut macht.

Der Neue weiß auch gleich um die Stimmung im Hauptdreh- und Handlungsort St. Andreasberg: "Sperrig, düster, nebelverhangen und oft nass", aber eben auch "warmherzig": "Man freut sich über unsere Arbeit", weiß er über die Bewohner, die dem Team ehrlich und herzlich begegneten. Es herrscht, trotz düsterer Western-Atmosphäre, eben nicht immer nur Sorge und Elend im Harz.

Harter Brocken: Die Erpressung – Do. 25.12. – ARD: 20.15 Uhr