Auch in den aktuellen Krisenzeiten zeigen viele Menschen Herz und Tatkraft. Kirchenvertreter werten das als Hoffnungssignale für die Zukunft. Doch es gibt auch Sorgen.
Kirchenvertreter aus Hessen sehen im sozialen Engagement vieler Menschen und in der gegenseitigen Unterstützung ermutigende Hoffnungssignale. Sein Zukunftsblick für die Gesellschaft zum Jahreswechsel sei "realistisch, aber nicht pessimistisch", erklärte etwa der Limburger Bischof und Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, in einer Umfrage der Deutschen Presse-Agentur.
"Die Herausforderungen sind groß, doch ich erlebe zugleich viele Menschen, die Verantwortung übernehmen, sich engagieren und für Zusammenhalt eintreten." Entscheidend werde sein, ob es gelinge, "aus der Logik der Polarisierung auszusteigen und wieder stärker auf Kooperation, Dialog und Gemeinsinn zu setzen", so Bätzing.
Mainzer Bischof betont Engagement auch außerhalb der Kirche
Der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf erklärte, natürlich gebe ihm sein Glaube Hoffnung. "Aber ebenso wichtig sind für mich Menschen, die sich in dieser Zeit für andere einsetzen, die sich in Wort und Tat für Gewaltlosigkeit engagieren, und die sich nicht entmutigen lassen, die Not anderer zu sehen und konkret Hilfe zu leisten." Diese Menschen gebe es innerhalb und außerhalb der Kirche, so Kohlgraf.
"Ich will daher nicht in das allgemeine Klagen über den Verfall von Werten in unserer Gesellschaft einstimmen", betonte Kohlgraf. Er nehme wahr, dass viele Menschen derzeit in großer Bedrängnis seien. "Als Gesellschaft und als Kirche sind wir gerufen, durch praktische Hilfen Not zu lindern." Das Bistum Mainz liegt zu etwa zwei Dritteln in Hessen.
"Trotz aller Unsicherheiten zuversichtlich"
Auch die Präsidentin der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, Christiane Tietz, erlebt nach eigenen Worten an vielen Stellen, "wie Menschen anderen Menschen helfen". Dafür nannte die Kirchenpräsidentin ein ökumenisches Beispiel: In einem gemeinsamen Projekt von evangelischer und katholischer Kirche in Griesheim bei Darmstadt unterstützten Ehrenamtliche Ältere bei alltäglichen, aber beschwerlichen Arbeiten wie dem Gardinen-Aufhängen. "Solche Initiativen gibt es viele - nicht nur in der Kirche... Sie geben mir Zuversicht, dass es doch viel Mitmenschlichkeit gibt."
Zusammenhalt und Verantwortungsbewusstsein hob auch der Generalvikar des Bistums Fulda, Martin Stanke, hervor. "Trotz aller Unsicherheiten bin ich zuversichtlich", erklärte er. "Unsere Gesellschaft verfügt über demokratische Stärke, engagierte Menschen und eine hohe Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen. Das gibt Anlass zur Hoffnung." Diese wachse dort, "wo Menschen einander beistehen, wo Solidarität konkret wird und wo Sinn- und Glaubensfragen Raum bekommen", so Stanke. Als Generalvikar vertritt er den erkrankten Fuldaer Bischof Michael Gerber.
Viele Herausforderungen - von Armut bis Wohnungsnot
Die Bischöfin der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, Beate Hofmann, verwies auf große gesellschaftliche Herausforderungen. "Wir müssen Lösungen finden für Rente, Armut, Pflege, Wohnungsnot sowie für Klimaschutz und Frieden." Mut mache auch ihr, dass sich weiterhin viele Menschen für gesellschaftlichen Zusammenhalt engagierten. "Und als Christin gibt mir Hoffnung, dass wir das alles nicht allein schaffen müssen. Gottes Geistkraft unterstützt uns."
Sorgen um Polarisierung und Vertrauensverlust
Sorge bereitet den Kirchenvertretern zugleich die zunehmende Polarisierung in der Gesellschaft. "Viele Menschen fühlen sich verunsichert, erleben Kontrollverlust und haben das Gefühl, dass gewohnte Sicherheiten brüchig geworden sind", so Bätzing. In solchen Situationen wachse das Misstrauen gegenüber Institutionen, gegenüber demokratischen Verfahren – und auch gegenüber den Kirchen. "Gleichzeitig zeigt sich, wie schnell öffentliche Debatten verengen und sich in Lager aufspalten. Das ist eine Entwicklung, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt ernsthaft gefährdet."
Diese Einschätzungen teilen auch der Fuldaer Generalvikar Stanke und EKHN-Präsidentin Tietz. Der Ton sei vielerorts rauer, Debatten seien emotionaler geworden, befanden beide. "Das hat aber auch mit den multiplen Krisen zu tun, die die Menschen derzeit sehr belasten. Dazu gehören wirtschaftliche Unsicherheiten bei uns oder der Krieg vor den Toren Mitteleuropas in der Ukraine", so Tietz.
"Unsere Welt wirkt gerade oft wie auf Kante genäht"
Für Stanke zeigt sich gerade jetzt, wie wichtig verlässliche Strukturen seien, "die den Zusammenhalt in unserer demokratischen Gesellschaft sichern." Auch er sieht eine Belastung durch Krisen, eine hohe Informationsdichte, die Dynamiken in politischen Prozessen und in den sozialen Medien, aber auch das Gefühl, von Veränderungen persönlich betroffen zu sein. "Unsere Welt wirkt gerade oft wie auf Kante genäht, Diskussionen geraten schnell in Schieflage. Das schwächt Vertrauen und verstärkt die Bereitschaft, komplexe Probleme zu stark zu vereinfachen." Tietz verwies auf gesellschaftliche und politische Kräfte "am linken und am rechten äußersten Rand", die ein Interesse daran hätten, "dass wir uns als polarisiert empfinden".
Auch innerhalb der Kirche spielen diese Entwicklungen eine Rolle, wie EKKW-Bischöfin Hofmann deutlich machte. Ihr sei wichtig, auf Menschen zuzugehen, die anders denken und leben, und ihnen aufmerksam zuzuhören. "Aber unsere Offenheit hat Grenzen: Wer Menschen ihre Würde und Rechte abspricht, dem widersprechen wir klar, aber respektvoll", so Hofmann. "Auch für die Mitarbeit in unserer Landeskirche haben wir feste Regeln: Wer öffentlich durch Wort oder Tat den christlichen Werten widerspricht, kann weder haupt- noch ehrenamtlich bei uns mitarbeiten."
Brücken bauen zu Weihnachten
Auch die Kirchen selbst erlebten Spannungen, bekannten die Würdenträgerinnen und Würdenträger - insbesondere in Fragen von Reformprozessen und der kirchlichen Erneuerung. "Mir ist wichtig, unterschiedliche Positionen ernst zu nehmen, Gesprächsräume offenzuhalten und Entscheidungen transparent zu kommunizieren", erklärte Generalvikar Stanke. In Zeiten zunehmender Polarisierungen wünsche er sich "viele engagierte Menschen, die bereit sind, Brücken zu bauen." Weihnachten lade dazu ein, solche Brücken zu bauen.
Ähnlich äußerte sich Bätzing. Die gesellschaftliche Relevanz der Kirche sei größer, als es die reinen Mitgliederzahlen vermuten ließen, erklärte er mit Blick auf die hohe Zahl der Kirchenaustritte in den vergangenen Jahren. "Viele Menschen erwarten von uns Orientierung, Halt, Solidarität und Trost." Im Bistum Limburg werde deshalb bewusst auf eine Kirche gesetzt, die "dialogoffen, kooperationsbereit und präsent" sei.
