Die Höhe der Ausgaben für Kinder- und Jugendhilfe hängt stark davon ab, wie groß die Kinderarmut in einer Region ist. Es ist also noch ein guter Weg hin zu gleichwertigen Lebensverhältnissen.
Die reinen Fakten des achten Kinder- und Jugendhilfemonitors für Rheinland-Pfalz sehen ernüchternd aus: Die Zahl hilfebedürftiger Familien steigt, die Herausforderungen für die 41 Jugendämter im Land wachsen, bei gleichzeitig grassierendem Mangel an Fachkräften in der Kinder- und Jugendhilfe, für die oft klamme Kommunen immer mehr Geld geben müssen.
Der gestiegene Unterstützungsbedarf sei ein Stück weit Spiegel des gesamtgesellschaftlichen Wandels, sagt die rheinland-pfälzische Familienministerin Katharina Binz. Die Grünen-Politikerin sieht aber auch Positives: Das Plus an Unterstützungsleistungen sei ebenfalls Zeichen verlässlicher Strukturen in der Kinder- und Jugendhilfe und zeige eine zunehmende Sensibilisierung für das Thema.
Was sind zentrale Fakten und Aussagen des Monitors?
Die neueste Ausgabe des alle drei Jahre erscheinenden Kinder- und Jugendhilfemonitors zeigt ein deutliches Plus an Fällen, in denen Familien, Heimen oder Pflegefamilien konkrete Hilfe geleistet wurde. Waren es 2005 noch rund 17.300 Fälle, stieg die Zahl bis 2024 auf knapp 30.200. Deutlich nach oben ging es auch mit den Ausgaben für Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe. Sie kletterten - ohne die Kosten für Kindertagesstätten - von rund 500 Millionen Euro 2015 auf 912 Millionen im vergangenen Jahr.
Die Kinder- und Jugendhilfe binde rund 20 Prozent der kommunalen Haushalte, rechnete der Geschäftsführer des mit dem Bericht beauftragten Instituts für sozialpädagogische Forschung in Mainz, Heinz Müller, vor. Der Trend sei bundesweit der gleiche, der Bedarf an Kinder- und Jugendhilfe und die Ausgaben dafür stiegen. Bundesweit seien 2010 rund 1,47 Milliarden dafür ausgegeben worden, 2023 schon 3,44 Milliarden.
Müller zufolge gehen grob gesagt mit einer höheren Kinderarmutsquote die Ausgaben für die Kinder- und Jugendhilfe nach oben. Über das ganze Land betrachtet waren 2023 knapp elf Prozent der unter 15-Jährigen auf den Bezug von Bürgergeld angewiesen - also mehr als 63.000 junge Menschen.
Dabei gibt es starke regionale Unterschiede: Kamen 2023 in Idar-Oberstein und Pirmasens 266,5 beziehungsweise 246,1 unter 15-Jährige im Bürgergeld-Bezug auf 1.000 junge Menschen dieser Altersgruppe, waren es im Kreis Trier-Saarburg nur knapp 60.
Man sei also ein gutes Stück entfernt von gleichwertigen Lebensverhältnissen, sagt Müller. "Wir sehen schwarz auf weiß, dass soziale Ungleichheit zunimmt", sagt Klaus Peter Lohest, Landesvorsitzender des Kinderschutzbundes Rheinland-Pfalz. Armut und prekäre Lebensbedingungen belasteten immer mehr Kinder, Jugendliche und Familien und hätten gravierende Folgen auch für die sozialen Sicherungssysteme. Es brauche strukturelle Reformen zur Armutsvermeidung.
Und noch etwas ist regional sehr unterschiedlich, wie der Bericht zeigt: die demografische Entwicklung. In den vergangenen Jahren habe es viele Familien aus ländlichen Strukturen in städtische Gebiete gezogen, heißt es aus dem Ministerium. Sprich: In den Städten müssen die Jugendämter sich um mehr junge Menschen kümmern, auf dem Land werde es zunehmend schwer, Strukturen zu bewahren.
Was gibt es an Hilfen und Maßnahmen der Kinder- und Jugendarbeit?
Das Spektrum ist immens breit, es reicht von Beratungen über Schulsozialarbeit, die laut dem Ministerium enorm an Bedeutung gewonnen hat, bis hin zum quasi letztmöglichen Mittel, der Inobhutnahme, wenn ein Jugendamt das Wohl eines Kindes in Gefahr sieht.
Die Zahlen gehen an vielen Ecken nach oben. Laut dem Bericht stieg die Zahl der Beratungen bis 2023 auf knapp 23.300 - das macht 28,5 Beratungen pro 1.000 junge Menschen unter 21 Jahren. Bei den Inobhutnahmen waren es 2002 noch rund 780, 2023 dann mehr als 1.500. Zunehmend müssten Kinder und Jugendliche stationär oder in Pflegefamilien unterstützt werden, sagt Christine Ripier-Kramer, Jugendamtsleiterin der Stadt Worms. Das treibe die Kosten weiter nach oben.
Was sind Erklärungsansätze für diese Entwicklung?
Die eine Erklärung gibt es nicht. Ministerin Binz sagt, die Gesellschaft insgesamt stehe unter Druck. Lebenshaltungskosten seien gestiegen, aus dem Grund müssten Menschen mehr arbeiten, das reduziere die Zeit in der Familien. Hinzu komme der schwierige Wohnungsmarkt, teils lebten Menschen in beengten Wohnverhältnissen miteinander. Diese ganzen Belastungen prasselten auch und insbesondere auf Familien mit Kindern ein, sagt die Ministerin. So entstehe Überforderung und Hilfebedarf.
Der Jugenddezernent von Worms, Waldemar Herder, sagte, Erzieherinnen berichteten, dass es schwieriger mit Kindern werde. Wenn ein Kind einen Bauklotz auf eine Erzieherin werfe, werde nach dem alten Muster das Gespräch mit den Eltern gesucht. Man müsse sich aber auch mehr fragen, wie erreicht werden könne, dass Kinder mal ein Nein akzeptierten. "Ich glaube, da ist ein gesellschaftlicher Wandel, dem wir uns ein Stück weit stellen müssen."
Bei Debatten über Kinder- und Jugendhilfe stünden oft Inobhutnahmen im Mittelpunkt, sagt Binz. Doch die seien nur ein kleiner, leider manchmal nötiger Teil der Kinder- und Jugendhilfe. Es sei jedoch wichtig, auch auf all die anderen Hilfsangebote hinzuweisen. Für Familien sei oft die Hemmschwelle, nach Hilfe zu suchen, hoch, weil über allem die Angst vor einer Inobhutnahme schwebe. In den allermeisten Fällen passiere das nicht, das sei auch nicht das Ziel eines Jugendamtes. "Es ist auch wichtig, dass diese Botschaft rüberkommt." Vielmehr gehe es in der Kinder- und Jugendhilfe darum, jungen Menschen auch unter erschwerten Bedingungen Teilhabe zu ermöglichen. Kinder- und Jugendhilfe sei eine "Chancen-Ermöglicherin".
Wie schaut der Fachkräftemangel aus?
Ministerin Binz nennt ihn "sehr spürbar". Um den genauen Stand in Rheinland-Pfalz zu erfassen, nehme das Institut für sozialpädagogische Forschung eine Datenerhebung vor. Es gehe darum, wo welche Stellen nicht besetzt seien. Die Auswertung laufe, sagt Instituts-Geschäftsführer Müller. Ein Problem sei das Fehlen von Fachkräften, aber auch eine hohe Fluktuation auf Stellen.
Welche Herausforderungen gibt es noch?
Voraussichtlich ab 2028 wird die Kinder- und Jugendhilfe für alle jungen Menschen zuständig werden, wie Binz erklärt - also auch für die mit einer Behinderung. Dieses Zusammenführen von Jugend- und Eingliederungshilfe sei ein Paradigmenwechsel und eine der größten Reformaufgaben für die kommenden Jahre. Umso dringlicher sei es, dass das noch ausstehende Bundesgesetz dazu komme, damit sich alle Akteure darauf vorbereiten könnten, mahnt Binz. So weit sei das Jahr 2028 nicht mehr entfernt.
