Königliche Gesten, scharfe Worte und ein Milliarden-Versprechen: NRW-Regierungschef Wüst inszeniert sich als Landesvater, die SPD ringt um ihre Spitzenkandidatur. Wer fordert Wüst 2027 heraus?
Hendrik Wüst gibt sich präsidial. Für den NRW-Ministerpräsidenten läuft es aktuell gut: Die CDU in Nordrhein-Westfalen sitzt rund eineinhalb Jahre vor der Landtagswahl fest im Sattel. Wüst steht in bundesweiten Politiker-Beliebtheitsrankings auf Platz zwei hinter SPD-Verteidigungsminister Boris Pistorius.
Am Rednerpult des Landtags beschwört der 50-jährige Landesvater, der bald zum zweiten Mal Vater wird, den Zusammenhalt des Landes gegen alle Krisen. Mit weinroter Krawatte und perfekt sitzendem dunkelblauen Anzug erinnert Wüst in der Haushaltsdebatte an den Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg, benutzt Wörter wie Mut, Kooperation, Demut, Vertrauen und Stolz auf die Heimat. Das ist die Methode Wüst: Der CDU-Regierungschef gibt sich versöhnlich, meidet die direkte Konfrontation, stellt sich über das parteipolitische Getümmel.
Ein bisschen Zepter und Mantel
FDP-Fraktionschef Henning Höne fühlt sich an den britischen König erinnert, der einmal im Jahr eine Regierungserklärung verliest, mit der er operativ gar nichts zu tun hat. "Ein bisschen Zepter, ein bisschen Mantel und schon spricht hier jemand, der so tut, als hätte er mit dem alltäglichen Regierungsgeschäft und dem Alltag der Menschen nichts zu tun, sondern als könnte er den ganzen Tag nur repräsentieren", sagt Höne.
Auf der anderen Seite steht SPD-Oppositionsführer Jochen Ott. In seinen 30 Minuten Redezeit arbeitet er sich Detail für Detail an der schwarz-grünen Politik und an Wüst ab, wirft der Regierung Arroganz vor und attestiert Wüst ein "respektloses Desinteresse" gegenüber dem Parlament.
Wüst halte erst zum zweiten Mal in diesem Jahr eine Rede im Plenum. Sein CDU-Vorgänger Armin Laschet habe dagegen in seinem letzten Amtsjahr allein 18 Mal das Wort ergriffen. "Die Regierung hat vor dem Parlament Rechenschaft abzulegen", mahnt Ott. Wüsts Desinteresse aber sei eine Abwertung des gesamten Parlaments.
Hart geht der SPD-Landtagsfraktionschef mit der Politik der seit 2022 amtierenden schwarz-grünen Landesregierung ins Gericht. In Bildungsrankings rutsche NRW immer weiter ab, 30 Prozent der Grundschüler könnten nicht gut genug lesen, schreiben und rechnen. Kitas seien unterfinanziert, jedes Jahr verliere das Land 30.000 Sozialwohnungen, zum Jahreswechsel werde es voraussichtlich wieder 800.000 Arbeitslose geben, die Kommunen seien in einer historischen Finanzkrise. Da könne Wüst noch so schöne Image-Fotos posten.
SPD sucht Herausforderer für Wüst
Empfiehlt sich der SPD-Landtagsfraktionschef als möglicher Spitzenkandidat der Sozialdemokraten für die Landtagswahl 2027? Die Wahlergebnisse der SPD erreichen in dem Bundesland, das einst als ihr Stammland bezeichnet wurde, historische Tiefstände. Ende Januar will die SPD NRW bei einer Vorstandsklausur entscheiden, wer Wüst herausfordern soll.
Süffisant nimmt CDU-Fraktionschef Thorsten Schick die Personallage bei der SPD aufs Korn. Einer nach dem anderen werfe bei der Spitzenkandidatur das Handtuch, sagt Schick und zählte Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas, Duisburgs Oberbürgermeister Sören Link und Hamms Rathauschef Marc Herter auf. "Die bittere Wahrheit ist: Jede oder jeder, der jetzt noch übernimmt, ist eine Verlegenheitslösung bei der Spitzenkandidatur für die nächste Landtagswahl", so Schick.
Indirekt spricht Schick seinem SPD-Amtskollegen Ott die Eignung als möglicher Spitzenkandidat ab. "Als Dauer-Mies-Macher bekommen Sie vielleicht den SPD-Landesvorstand überzeugt – aber nicht die Menschen in Nordrhein-Westfalen." Die SPD präsentiere der nachfolgenden Generation nur "ungedeckte Schecks". Grünen-Fraktionschefin Wibke Brems sagt, Ott habe "verzweifelt versucht, Landesvater zu spielen". Mit Blick auf das von der SPD geforderte Fünf-Milliarden-Programm für Familien, Sicherheit und Kommunen fragt sie: "Wo haben Sie eigentlich Ihren Goldesel versteckt?"
Wüst: Der Krise nicht mit Angst begegnen
Regierungschef Wüst appelliert derweil an den Zusammenhalt des Landes. Die Angst um den Arbeitsplatz sei längst wieder real, räumt auch Wüst ein. Das Fundament der Industrie bröckele, Absatzmärkte in Asien und besonders China brächen weg, die USA setzten die wirtschaftliche Weltordnung mit aggressiven Zöllen unter Druck, die Wirtschaft leide auch unter den Folgen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine. Die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands sinke, die Wirtschaft wachse nicht mehr.
Dem dürfe aber nicht mit Angst und Schwarzmalerei begegnet werden. "Im Gegenteil: Diese Angst ist gefährlich für unser Land", sagt Wüst. "Unser Zusammenhalt in Nordrhein-Westfalen ist unsere größte Stärke."
Ein neuer Rekordhaushalt und noch mehr Milliarden
Nach einer vierstündigen Debatte inklusive Abstimmung über 109 Einzelanträge verabschiedet der Landtag mit der Mehrheit von CDU und Grünen den Rekordhaushalt über 112,3 Milliarden Euro für 2026. Zusätzlich soll noch Geld aus dem neuen Prestigeprojekt von Schwarz-Grün fließen: der milliardenschwere "Nordrhein-Westfalen-Plan für gute Infrastruktur 2025–2036". Dieser wurde auf Basis des Sondervermögens des Bundes aufgestellt. "Der Nordrhein-Westfalen-Plan wird den Alltag der Menschen verbessern und Demokratie und Zusammenhalt stärken", verspricht Wüst.
Die Landesregierung will damit in den nächsten zwölf Jahren 31,2 Milliarden Euro in Bildung und Infrastruktur investieren. NRW erhält aus dem Sondervermögen des Bundes von 2025 an rund 21 Milliarden Euro. Der NRW-Plan werde die Baubranche ankurbeln, für Wachstum, soziale Sicherheit und eine neue Verlässlichkeit sorgen, sagt Wüst.
Für die Opposition ist der Milliarden-Plan dagegen eine "Mogelpackung". FDP-Fraktionschef Höne rechnet vor: Von den 31 Milliarden Euro seien 8,4 Milliarden alte Mittel aus dem Haushalt 2025, die fortgeschrieben würden, aber nicht neu seien. Geteilt durch zwölf Jahre blieben 1,9 Milliarden Euro zusätzliche Investitionen pro Jahr. "Sie tun so, als könnte man damit das Land reparieren", sagt er. "Hören Sie auf, den Menschen Sand in die Augen zu streuen." Es sei ja alles nett gemeint. Aber Wüst gebe keine Antwort auf die großen Fragen der Zeit.
Wüst als Stütze der Republik?
AfD-Fraktionschef Martin Vincentz spottet über Wüst und bemüht die griechische Mythologie: Wüst fühle sich offenbar wie der Titan Atlas, "der am westlichsten Punkt der Republik die Welt zu schützen versucht, während er in Realität allenfalls mit teuren Image-Fotos die CDU vor dem Absturz in den Umfragen bewahrt und NRW hintenrüberfällt".
