Gesellschaft: Wie drei renitente Nonnen ihren Chef zur Verzweiflung treiben

Published 2 hours ago
Source: stern.de
Gesellschaft: Wie drei renitente Nonnen ihren Chef zur Verzweiflung treiben

Drei betagte Nonnen verweigern ihrem Chef den Gehorsam und besetzen ihr altes Kloster. Die Geschichte geht um die Welt. Die wichtigste Frage gerät da in den Hintergrund.

Selig sind die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erlangen. Evangelium nach Matthäus, Bergpredigt, Kapitel fünf, Vers sieben. Worte Jesu. So soll es sein.

Manchmal aber geht es im Leben komplizierter zu als in der Bibel. Manchmal haut es nicht ganz so gut hin mit der Barmherzigkeit. Manchmal verschließen sich die Herzen sogar, wo sie sich doch eigentlich öffnen sollten. Wie in jener Geschichte der drei alten Nonnen, die in Österreich gegen die Obrigkeit aufbegehren und ihr ehemaliges Kloster besetzen, um dort in Frieden zu leben – und zu sterben. Ab September berichten Medien auf der ganzen Welt über diese auf den ersten Blick heitere Posse um drei sture Alte, die ihrem jungen Vorgesetzten eine Lektion in zivilem Ungehorsam verpassen. Dabei ist die Geschichte deutlich komplizierter. Und im Grunde kein bisschen heiter.

Ein Geistlicher vor Motorrädern
Einst Ministrant, nun der Vorgesetzte der drei Nonnen: Probst Markus Grasl, 45, hier bei einer Bikerwallfahrt
© picture alliance / Johanna Schlosser / picturedesk

Inzwischen ist aus drei alten Frauen, die Heimweh hatten, ein Social-Media-Phänomen geworden. Die Nonnen wurden Gegenstand eines Buches mit dem kalkuliert-empörten Titel "Nicht mit uns!" und Anschauungsobjekte eines Dokumentarfilms. Der Fall beschäftigt Anwälte. Es geht um Recht und Unrecht, um Anstand und Enttäuschungen und immer wieder um Gehorsam und Widerstand. Gleichzeitig geht es um so unendlich viel mehr. Der Geschichte fehlen wichtige Teile. Dennoch wollen wir sie erzählen.

Die Nonnen: Hinter den Klostermauern war ihr Zuhause

Es waren einmal drei Nonnen, die hießen Schwester Bernadette, Schwester Regina und Schwester Rita. Sie lebten zufrieden als Augustiner-Chorfrauen und Lehrerinnen auf Schloss Goldenstein in Elsbethen bei Salzburg. Das Schloss beherbergte nicht nur ein Kloster, sondern auch eine Klosterschule. Berühmteste Schülerin: Romy Schneider. Die Jahre gingen dahin. Schwester Bernadette ist inzwischen 88, Schwester Regina 86 und Schwester Rita 82 Jahre alt. Im Kloster blieben immer mehr Plätze leer; mit der Zeit waren viele Mitschwestern ins Himmelreich gegangen.

Ort des Lernens: Schloss Goldenstein bei Salzburg beherbergt noch immer eine Schule
Ort des Lernens: Schloss Goldenstein bei Salzburg beherbergt noch immer eine Schule
© Chris Hofer / Franz Neumayr / dpa

Bernadette, Regina und Rita lebten weiter auf der Erde. Aber es rückten keine jüngeren Schwestern nach, die sie hätten pflegen können. Im Kloster wollten die drei Frauen trotzdem bleiben. Sie hatten den allergrößten Teil ihres Lebens hier verbracht; hinter den Mauern war ihr Zuhause, vor allem spirituell. So einen Ort verlässt man nicht freiwillig. Nicht, ohne dass Gott einen zu sich holt. Das war der Plan.

Und das hatten sie sich zusichern lassen, als das Kloster 2022 in den Besitz des Erzbistums Salzburg und des Stifts Reichersberg überging. Sie sollten im Kloster leben dürfen, so lange es ihre Gesundheit zuließ. Das war vielleicht etwas vage gedacht oder formuliert. Doch die Zeit lief. Schwester Bernadette musste ins Krankenhaus. Schwester Regina auch. Und Schwester Rita wurde etwas vergesslich.

Was dann passierte, darüber gibt es zwei Versionen, die einander widersprechen. Aus Sicht der Nonnen war es so: Sie wurden aus dem Krankenhaus ohne jede Vorwarnung in ein Pflegeheim abgeschoben. Im Nachthemd. Entsetzlich entwürdigend war das. Und für sie ein unglaublicher Vertrauensbruch. Es war, als habe man ihnen über Nacht ihr Leben gestohlen.

Aus Sicht des kirchlichen Vorgesetzten der drei Nonnen, Probst Markus Grasl, hatte es lange davor durchaus Gespräche mit den Frauen gegeben. Mehr noch: Hatten sie nicht eigenhändig und vollkommen freiwillig ihre Unterschrift unter die Heimverträge gesetzt? Wäre es nicht aus medizinischer Sicht unverantwortlich gewesen, die drei allein zu lassen?

Es gibt auch hier eine andere Version: Hatte man die Frauen überrumpelt, bei schlechtem Licht etwas zu unterschreiben, das sie nicht verstanden?

Vor zwei Jahren jedenfalls fanden sich Schwester Bernadette, Schwester Regina und Schwester Rita mit ein paar Habseligkeiten im Heim wieder. Verstört, hilflos, aber auch empört: Sie hatten Probst Grasl, ihren Vorgesetzten, schon als Teenager und Ministrant gekannt. Als ganz junger Mann hatte er sie sogar mal um Rat gefragt. Die Frauen hatten sich von Herzen gefreut, als Grasl 2016 ihr Ordensoberer wurde. Und jetzt, mit nicht mal Mitte 40, behandelte er sie wie Möbelstücke? Sie wollten zurück. Nach Hause.

Alltag oder Inszenierung? Dank vieler Helferinnen und Helfer fehlt es den Nonnen jedenfalls nicht an warmen Mahlzeiten
Alltag oder Inszenierung? Dank vieler Helferinnen und Helfer fehlt es den Nonnen jedenfalls nicht an warmen Mahlzeiten
© Anna Szilagyi / EPA

Aber das ging nicht. Grasl hatte die Schlösser im Kloster austauschen lassen. Für ihn war die Sache klar: Die Ordensfrauen waren gebrechlich. Er trug die Verantwortung. Eine Rückkehr ins Kloster kam nicht infrage. Die Dinge waren geregelt. Fast zwei Jahre versuchten Bernadette, Regina und Rita, in ihre alte Welt zurückzugelangen. Sie baten. Sie beteten. Doch der einstige Ministrant sagte Nein.

Sie leben wieder da, wo sie sich zu Hause fühlen. Dafür mussten sie ein Gelübde brechen

Anfang September 2025: Ehemalige Klosterschülerinnen haben vom Schicksal der Nonnen erfahren. Gemeinsam setzen sie einen Plan um und bringen die alten Frauen zurück ins Kloster. Ein Schlüsseldienst sperrt auf. Und Bernadette, Regina und Rita sind endlich wieder da, wo sie hingehören. Ganz nahe bei Gott. Bei sich selbst.

Aber nun als Hausbesetzerinnen. Sie, die ihr ganzes Leben lang immer folgsam, gehorsam, duldsam gewesen waren, hatten plötzlich eine eigene Stimme. Waren Frauen mit einem eigenen Willen, die sich einem Mann, dem Oberen, entgegenstellten und ihm freundlich, aber bestimmt klarmachten: Das Gehorsamkeitsgelübde, das wir als Ordensschwestern abgelegt hatten, steht für uns nicht über Menschlichkeit. Nicht über unserem Wunsch nach einem würdigen, selbstbestimmten Leben – und einem ebensolchen Lebensende.

Gebete und Arbeit haben den Stunden, Tagen, Jahren und Jahrzehnten im Kloster eine Struktur gegeben. Nun suchen die Nonnen die alte Ordnung wieder – unter den Augen der Öffentlichkeit
Gebete und Arbeit haben den Stunden, Tagen, Jahren und Jahrzehnten im Kloster eine Struktur gegeben. Nun suchen die Nonnen die alte Ordnung wieder – unter den Augen der Öffentlichkeit
© Roderick Aichinger / The NewYorkTimes / Redux / laif

Probst Grasl: schockiert. Verärgert. Hilflos. Die Nonnen: wirkten lebendiger denn je. Obwohl sich im Kloster in der Zwischenzeit so vieles zum Schlechten verändert hatte. Es gab auf mehreren Etagen keine Waschbecken und keine Toiletten mehr. Der Treppenlift, früher eine so große Hilfe, war abgebaut. Angeblich waren Schränke durchwühlt worden, und persönliche Erinnerungsstücke lagen auf dem Boden herum. Alles in den Räumen sagte ihnen: Man hatte ihr altes Leben abgewickelt.

Sie wollten es sich zurückholen.

Die Nonnen erlebten eine Woge der Solidarität. Helferinnen und Helfer besorgten Lebensmittel, organisierten Arztbesuche. Eine provisorische Küche wurde eingerichtet. Dann kam jemand auf die Idee, die Geschichte der drei Frauen in die Welt hinauszutragen. Gutmeinende richteten ein Instagram-Profil ein: "nonnen_goldenstein" hat inzwischen mehr als 86.000 Follower, die sich mehr als 260 Beiträge der Ordensschwestern anschauen können.

Ein deutsches Unternehmen spendete neue Treppenlifte. Es war wieder Leben in der Bude, doch dieses Leben war ein anderes geworden. Hatten für die Nonnen bisher nicht immer nur Gott und sein Werk und die Arbeit mit Menschen im Mittelpunkt gestanden? Auf Instagram wirken die alten Frauen mitunter wie Hauptdarstellerinnen ihres eigenen Lebens. Mit so viel Aufmerksamkeit hatten sie jedenfalls nicht gerechnet.

Statt Kontemplation in Klausur gibt es nun: Inszenierung, Interviews, Fotos, Berichte in der BBC, in der "New York Times", in Japan. Nun ging es um so vieles, was gar nichts mehr mit früher zu tun hatte und außer Kontrolle zu geraten drohte: um angeblich verschwundenes Geld, um die Unterscheidung von Privat- und Ordensvermögen, um zu Recht oder zu Unrecht bezogene Sozialhilfe.

Die Interessen der Nonnen vertritt ein Anwalt. Das sei ein "unfreundlicher Akt", lässt Probst Grasl ausrichten. Er selbst zieht einen Krisenkommunikator zurate.

Aus dem Fokus geraten ist bei alledem die eigentliche Frage, um die es geht: Wie schaffen wir es, Menschen in Würde und Frieden an einem Ort sterben zu lassen, der ihnen lieb und teuer ist? Wäre das nicht Barmherzigkeit?

Anmerkung der Redaktion: Dieser Text erschien zuerst im stern-Sonderheft "Das war 2025". Nach Redaktionsschluss ging die Geschichte weiter: Propst Markus Grasl hat den Nonnen angeboten, im Kloster Goldenstein bleiben zu können – allerdings unter Auflagen. So sollten die Nonnen unter anderem wieder in Klausur leben und ihre Social-Media-Aktivitäten einstellen. Das lehnten die Ordensschwestern ab. Inzwischen haben sie bei Instagram mehr als 279.000 Follower. Propst Grasl schaltete zuletzt den Vatikan ein. Die Nonnen haben ihrerseits den Vatikan darum gebeten, ihren Vorgesetzten Propst Grasl von diesem Amt zu entpflichten. Ausgang offen. 

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