Zum Schrecken von Apotheken und zur Freude der Kunden bereitet sich dm darauf vor, rezeptfreie Arzneien zu verkaufen: mit einer Onlineapotheke in Tschechien.
Die Drogeriekette dm verkauft seit dieser Woche rezeptfreie Medikamente. Dazu hatte das Unternehmen schon vor einem Jahr eine Onlineapotheke in Tschechien gegründet. Nun können Kunden im dm-Onlineshop auch aus etwa 2500 Arzneien auswählen – von der Nasensalbe, über Hustensaft, Allergietabletten bis hin zu Schmerzmitteln. Die sind zwar alle rezeptfrei, aber eben apothekenpflichtig.
In den Filialen wird man davon nicht viel merken. Dort kann man lediglich Bestelltes hinliefern lassen. Man zahlt dann aber trotzdem für den Versand, weshalb das nicht allzu viel Sinn ergibt. Dass das so ist, hängt mit den deutschen Gesetzen zum Schutz der klassischen Apotheke und der Pflicht zur persönlichen Beratung beim Medikamentenkauf zusammen. In Deutschland wäre die Gründung einer Onlineapotheke für das Unternehmen rechtlich nicht möglich, weshalb die dm-Onlineapotheke auch in Tschechien ansässig ist.
Damit wird die Furcht vieler Apotheker Wirklichkeit, dass eine der großen Handelsketten anfängt, Medikamente zu verkaufen. Aber auch für Onlineapotheken ist das eine Bedrohung: Seit vor einem Jahr bekannt wurde, dass dm in den Medikamentenhandel einsteigen will, haben die Kurse der beiden Marktführer DocMorris und Redcare Pharmacy ("Shop-Apotheke") bereits um jeweils rund 50 Prozent nachgegeben. Das hängt allerdings auch damit zusammen, dass die E-Rezepte bislang viel weniger Umsatz als erwartet in die Onlineapotheken spülen.
Jede fünfte Apotheke ist verschwunden
Der Markt der Medikamente ist hart umkämpft. Waren es in den Nullerjahren noch stabil 21.500 Apotheken, sind es heute nur noch knapp 17.000 – ein Fünftel weniger. Aber auch zwischen den Onlineapotheken herrscht harter Wettbewerb. Während rezeptpflichtige Arzneien noch immer zu 98 Prozent in den Apotheken gekauft werden, sind es bei den apothekenpflichtigen, aber rezeptfreien Medikamenten nur noch etwa drei Viertel. Den Rest verkaufen die Onlineanbieter.
Neben den bereits genannten gehören zu den größeren Onlineapotheken noch Shops wie Aponeo, Medikamente-per-Klick, Apo-Discounter und Sanicare. Shop-Apotheke (31 Prozent) und DocMorris (17 Prozent) konzentrieren allerdings fast die Hälfte des Onlineapothekenhandels auf sich – bis jetzt jedenfalls.
stern-Check: Günstige Pillen, teurer Versand
Ein kleiner Preis-Check vom stern bestätigt, dass dm durchaus die beiden Platzhirsche im Auge hat: Bei der Stichprobe mit drei typischen Medikamenten war dm jeweils mehr als zehn Prozent günstiger als die beiden Online-Marktführer.
Zwar findet man im Idealo-Preisvergleich bei allen drei Stichproben noch günstigere Preise bei anderen Onlineapotheken. In der Regel handelt es sich dabei aber um Sonderangebote, kauft man dann mehrere Medikamente ein, verschwindet der Preisvorteil nicht selten wieder.
Und weil praktisch alle Apotheken Versandkosten unterhalb einer Mindestbestellmenge fordern, lohnt sich eine Bestellung auch nur, wenn sie eine Kollektion von Pillen und Salben umfasst. Bei dm ist der Versand erst ab 59 Euro kostenfrei – das ist eine für die Branche recht hohe Summe. Bei DocMorris entfallen die Versandkosten ab 22,90 Euro, bei der Shop-Apotheke ab 25 Euro.
Klar ist aber auch: Im Vergleich zu normalen Apotheken liegt die Ersparnis oft bei 30 bis 50 Prozent.
In gewisser Weise ist der Schritt von dm eine logische Weiterentwicklung: Produkte wie Pflaster, ph-neutrale Seifen, Desinfektionsmittel und Ähnliches werden schon lange in großen Mengen in Drogerien verkauft. Und nimmt man zum Beispiel Pflaster, sind die bei dm oder Rossmann auch günstiger als bei den allermeisten Onlineapotheken – von den normalen Apotheken ganz zu schweigen. Das hat dazu beigetragen, dass die Drogeriekette dm bereits großes Vertrauen beim Thema Gesundheit genießt.
Verbraucher würden Medikamente bei dm kaufen
So ergab eine Umfrage der Unternehmensberatung Sempora im vergangenen Jahr, dass sich drei Viertel der Verbraucher vorstellen können, künftig rezeptfreie Medikamente bei dm einzukaufen. Damit liegt dm in der Sempora-Befragung noch vor Rossmann (zwei Drittel) – und weit vor den Supermarktketten wie Edeka und Rewe, wo sich das nur jeweils ein gutes Drittel der Befragten vorstellen kann.
Vorab war darüber spekuliert worden, dass einzelne Apotheken gegen das neue Versandangebot vorgehen. dm-Chef Christoph Werner hatte gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erklärt, es werde "erst einmal ziemlich scheppern und knallen, mit Abmahnungen und einstweiligen Verfügungen“. Auf Nachfrage vom stern erklärte dm aber am Donnerstagabend, es wäre bislang nichts dergleichen bei ihnen eingegangen.
Neben der Onlineapotheke experimentiert dm schon länger mit weiteren Gesundheitsangeboten in der Filiale, zusammen mit Partnern. So bietet die Drogeriekette in vier dm-Märkten in Düsseldorf, Köln, Aachen und Bad Münstereifel ein Augenscreening mit Skleo Health an. In Karlsruhe soll bald eine fünfte Filiale einsteigen. Mit dermanostic bietet dm in Münster, Karlsruhe, Düsseldorf, Berlin und Braunschweig eine Hautanalyse an. Mit Aware Health werden in drei Märkten in Karlsruhe, Konstanz und Berlin Bluttests durchgeführt.
Noch ist nicht ausgemacht, wie es damit weitergeht. "Für uns ist entscheidend, wie gut das Angebot von den Kundinnen und Kunden angenommen wird", sagte Marketingchef Sebastian Bayer dem stern. "Und welchen konkreten gesundheitlichen Mehrwert wir schaffen." Der Drogeriediscounter möchte mit diesen Angeboten vor allem die jüngere Zielgruppe an die Marke binden. Denn bei Millennials und der Gen Z sei das Thema Gesundheit sehr wichtig.
Was macht Amazon?
Allerdings ist dm in dieser Frage nicht nur Treiber, sondern womöglich auch Getriebener. Denn über allem steht die Frage, was Amazon macht. Dort kann man zwar schon über den Marketplace rezeptfreie Arzneien bestellen, also von Onlineapotheken, die dort anbieten. Aber so richtig ist Amazon noch nicht eingestiegen. Das aber halten viele in der Branche nur für eine Frage der Zeit.
In den USA tritt Amazon längst selbst als Apotheke auf. Unter dem Markennamen "Basic Care" vertreibt der Konzern dort auch selbst hergestellte Nachahmerprodukte, wie etwa Allergiearzneien und Magensäureblocker. In der oben genannten Sempora-Umfrage wurden Verbraucher auch nach Amazon gefragt. Resultat: Jeder zweite kann sich vorstellen, dort Medikamente zu bestellen.
